Ein Leben mit weniger Barrieren? Für viele Menschen mit Beeinträchtigung wäre das eine große Erleichterung. Leichte Sprache könnte vielen von ihnen zu mehr Barrierefreiheit verhelfen. Was genau bedeutet eigentlich leichte Sprache? Sebastian Müller – selbst von einer Mehrfachbehinderung betroffen – ist Leiter des Büros für Leichte Sprache. Er lässt uns an seinem persönlichen Alltag und seiner Arbeit teilhaben.

Was haben Sie als Erstes gedacht, warum ich Sie für dieses Projekt ausgewählt habe?
Sebastian Müller: „Da habe ich mir keine großen Gedanken dazu gemacht. Ich habe angenommen, dass Sie nach leichter Sprache gegoogelt haben und auf die Website von unserem Büro gestoßen sind. Dann haben Sie sich gefragt, was steckt hier eigentlich alles dahinter und was ist der Leiter des Büros für ein Mensch. Wie ist es möglich mit einer Mehrfachbehinderung und starker Sehbeeinträchtigung das Büro für leichte Sprache zu leiten und ein Masterstudium absolviert zu haben.“
Wie entstand das Büro für Leichte Sprache?
Sebastian Müller: „Das Büro für Leichte Sprache entstand im Zuge des Projekts „Regensburg Inklusiv“, das von Aktion Mensch gefördert wurde. Man hat erkannt, dass die Notwendigkeit nach Informationen in leichter Sprache sehr hoch ist. Leiter des Büros für leichter Sprache wurde ich dann, weil ich im Jahr 2014 gerade auf Jobsuche war und die Verantwortlichen des Projekts auf der Suche nach einem guten Mitarbeiter waren. So hat sich das ganz gut ergeben.
Gab es hier aufgrund Ihrer eigenen Beeinträchtigung eine persönliche Motivation etwas verändern zu wollen?
Sebastian Müller: „Ich glaube eine eigene Behinderung trägt immer zur Motivation bei. Jede Übersetzung in leichte Sprache erhöht die Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Beeinträchtigung. Deswegen glaube ich, dass ich durch meine eigenen Erfahrungen motivierter bin, für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu kämpfen.“
Gab es genau den einen Moment, in dem Sie gedacht haben, ich will etwas verändern?
Sebastian Müller: „Es gibt viele solche Situationen. Wenn ich zum Beispiel beim Einkaufen von den Verkäufern wie ein Fünfjähriger behandelt werde, obwohl ich schon über 30 Jahre alt bin. Da merkt man, dass in Sachen Bewusstseinsentwicklung im Umgang mit Menschen mit Behinderung noch viel getan werden muss. Jetzt bin ich selbst in der Lage, dass ich Vorträge und Schulungen dazu halten kann. Viele Menschen mit Behinderung sind nicht in der Lage zu sagen: „Das geht so aber nicht, das ist nicht in Ordnung!“. Deswegen betrachte ich es als meine Verpflichtung mein Wissen weiterzugeben und dazu beizutragen, dass immer mehr Menschen wissen wie man mit Menschen mit Behinderung korrekt umgeht ohne sie zu verletzen.“
Wie war das Studium für Sie? Gab es viele Barrieren?
Sebastian Müller: „Wenn ich mich zurückerinnere, gab es zu Beginn meines Studiums 2006 noch viele bauliche Barrieren. Die Automatiktüren, wie wir sie heute kennen, gibt es erst seit 2010. Vorher gab es nur Flügeltüren, welche für Rollstuhlfahrer alleine nicht zu überwinden waren. Da ist es schön zu sehen, dass die Entwicklung in diesem Bereich vorangeht und Dinge sukzessive verbessert werden.“
Was blieb Ihnen persönlich von der Studienzeit in Erinnerung?
Sebastian Müller: „Meine Kommilitonen:innen hatten viel weniger Berührungsängste als einige Professoren und Dozenten:innen. Da hat man gemerkt, dass Inklusion in meiner Generation bereits einen anderen Stellenwert und Selbstverständnis genießt. Diese Entwicklung ist natürlich sehr erfreulich.“

(Foto: Lukas Kistenpfennig)
Was war einer der schönsten oder schrägsten Aufträge für Ihr Büro? Mussten Sie sogar einmal einen Auftrag ablehnen?
Sebastian Müller: „Es gab viele schöne Aufträge. Wir haben uns sehr gefreut, dass wir im September 2020 die OTH Regensburg in leichter Sprache beschreiben durften. Das war für uns ein ganz besonderer Auftrag, den wir gerne gemacht haben. Es gab aber auch einige schräge Aufträge, wobei es bisher keinen gab, bei dem ich am Ende sagen musste, den machen wir nicht. Als Beispiel hatten manche Auftraggeber:innen Vorstellungen, die mit dem Regelwerk für leichte Sprache nicht übereinstimmen und daher nicht umsetzbar sind. Wenn ich z.B. einen wissenschaftlichen Text von zwei Seiten übersetzen soll, die Übersetzung in leichter Sprache aber nur halb so lang sein soll, dann geht das einfach nicht.
Von wem würden Sie sich einen Auftrag wünschen?
Sebastian Müller: „Wir haben eine Wunschliste. Auf dieser steht z.B. ein Interview in leichter Sprache mit unserem Bundestrainer Hansi Flick oder mit Markus Söder. Viele unserer Leser:innen wollen gerne wissen, was macht eigentlich ein Ministerpräsident und was ist er für ein Mensch? Ich finde es schade, dass man nur sehr schwer an große Persönlichkeiten herankommt und nur die Büroleitungen erreicht. Diese sagen oft, dass leichte Sprache eine zu geringe Reichweite hat. Ich bin der Meinung, das ist ein wichtiger Teil von Barrierefreiheit. Also könnte sich auch unser „Landesvater“ hierfür mal eine Stunde Zeit nehmen. So kann der Stellenwert der leichten Sprache in Bayern erhöht werden. Das wäre ein sehr gutes Signal. Aber vielleicht kommt es ja einmal zu einem Interview…“

Tipps, um Leichte Sprache im Alltag anzuwenden?
Sebastian Müller: „Man sollte kurze Sätze bilden und jeder Satz sollte nur eine Information beinhalten. Außerdem sollte ein Satz nicht länger als zehn Wörter sein. Das ist schon einmal eine gute Faustregel. Des Weiteren sollte jeder Satz maximal ein Komma haben. Das heißt konkret, dass eingeschobene Nebensätze nicht erlaubt sind.“
Wie verwenden Sie selbst leichte Sprache im Alltag?
Sebastian Müller: „Ich verwende die leichte Sprache gerne, wenn ich mich in ein Thema einarbeiten muss, von dem ich selber wenig Ahnung habe. Dann versuche ich mir einen Überblick mit Hilfe von Informationen in leichter Sprache zu schaffen. Dadurch bekommt man automatisch die wesentlichen Inhalte schnell vermittelt.“
Müssen Sie in ihrem persönlichen Umfeld noch oft erklären, um was es bei leichter Sprache geht?
Sebastian Müller: „Ich komme aus einem kleinem Dorf in Oberfranken in der Nähe von Kulmbach. Der dortige Bürgermeister hat bis heute noch relativ wenig von leichter Sprache gehört. Je weiter man in ländliche Regionen kommt und je weniger die Personen mit Menschen mit Behinderung zu tun haben, desto häufiger muss man erklären was leichte Sprache ist.“
Was hat sich durch Ihr Wirken in Regensburg schon verändert?
Sebastian Müller: „Es gab in Regensburg schon einige Aufträge, durch die wir etwas erreichen konnten. Zusammen mit dem Bistum Regensburg haben wir einen Domführer in leichter Sprache für den St. Petersdom geschrieben. Außerdem haben wir die Website des Bezirkes Oberpfalz mit Informationen in leichter Sprache versehen. Ein besonders schöner Auftrag war es, für das Haus der Bayerischen Geschichte drei Ausstellungen mit Hörtexten in leichter Sprache zu versehen. Diese Aufträge haben viel Spaß gemacht, weil die Inhalte sehr informativ und interessant waren.
„Leichte Sprache gehört genauso zur Barrierefreiheit wie eine Rampe für Rollstuhlfahrer oder die Signalampel für Menschen mit Sehbehinderung“
Was wollen Sie in Zukunft noch verändern?
Sebastian Müller: „Leichte Sprache gehört genauso zur Barrierefreiheit wie eine Rampe für Rollstuhlfahrer oder die Signalampel für Menschen mit Sehbehinderung. Ich möchte erreichen, dass genau das stärker in die Köpfe der Menschen geht. Leichte Sprache ist kein „Give Away“, welches man eben mal mitnehmen kann, wenn man Geld dafür übrig hat.“
Was würden Sie sich von der Politik wünschen?
Sebastian Müller: „Da wir im nächsten Jahr Landtagswahlen in Bayern haben, fände ich es super, wenn jeder Landtagsabgeordnete Informationen für seine Wähler:innen auf seiner Website in leichter Sprache zur Verfügung stellen würde. Ich denke, wir haben in Bayern und in Deutschland allgemein mit einer gewissen Politikmüdigkeit zu kämpfen. Wenn die Politiker:innen das Instrument der leichten Sprache verwenden würden, könnten Sie bei den Wählern punkten. In der leichten Sprache kann man nicht um eine Sache herumreden, sondern hier werden Inhalte genau und präzise formuliert. Der Nachteil dabei ist, dass sich Politiker:innen nicht gern konkret auf etwas festnageln lassen. Leider haben bisher nur sehr wenige Abgeordnete leichte Sprache auf ihrer Website.“
Wer hat Sie persönlich mit seinem Engagement beeindruckt?
Sebastian Müller: „Hervorzuheben ist hier die Arbeit des bayerischen Behindertenbeauftragten Holger Kiesel in den letzten beiden Jahren. Dieser hat die Corona-Informationen für Menschen mit Lernschwierigkeiten übersetzen lassen. Das ist für mich ein positives Beispiel. Die Übersetzungen sind gut angekommen und auch Menschen, die keine Beeinträchtigung haben, konnten von diesen Informationen profitieren.“
„Wenn man in ein Gebäude einen Fahrstuhl einbaut, kommt ja auch niemand auf die Idee, das Treppenhaus einzureißen“
Das heißt, dass leichte Sprache für uns alle eine Bereicherung sein kann?
Sebastian Müller: „Leichte Sprache kann definitiv ein Gewinn für alle Menschen sein. Ich habe bisher noch keinen Menschen getroffen, dem leichte Sprache geschadet hat. Es gibt hin und wieder auch Kritik an leichter Sprache. Dazu sage ich immer: Wenn man in ein Gebäude einen Fahrstuhl einbaut, kommt ja auch niemand auf die Idee, das Treppenhaus einzureißen. Wir müssen da hinkommen, dass leichte Sprache und Standardsprache parallel nebenherlaufen.“
Wieso hat es Sie nach Regensburg verschlagen? Warum leben Sie gerne hier?
Sebastian Müller: „Nach meinem Fachabitur im Jahr 2006 bin ich nach Regensburg gekommen, weil es damals die einzige Stadt war, wo man als Mensch mit Behinderung studieren konnte und gleichzeitig Assistenz und Pflege bekommen konnte. Ich bin hiergeblieben, weil ich mir ein Netzwerk aufgebaut und nette Leute kennengelernt habe. Außerdem hat man als Mensch mit Behinderung in Regensburg bessere Jobperspektiven als auf dem Land, wo die Infrastruktur in Sachen Barrierefreiheit und Assistenzleistung noch überhaupt nicht vorhanden ist. Da sind wir noch nicht mal in den Kinderschuhen.“
„Millionenaufträge? Das wird bei der leichten Sprache nicht der Fall sein, außer es kommt jemand auf die Idee, die Bibel oder das Bürgerliche Gesetzbuch übersetzen zu lassen“
Was bedeutet für Sie persönlich leichte Sprache?
Sebastian Müller: „Leichte Sprache verbessert den Zugang zu Informationen, so dass möglichst viele Menschen die Informationen verstehen können. Es ist eine schöne Sache, dass man mit wenig finanziellem Aufwand viel erreichen kann. Vergleicht man es damit ein Gebäude komplett barrierefrei zu gestalten, ist man hier schnell bei Millionenaufträgen. Das wird bei der leichten Sprache nicht der Fall sein, außer es kommt jemand auf die Idee, die Bibel oder das Bürgerliche Gesetzbuch übersetzen zu lassen.“
Ein großes Dankeschön an Herrn Müller für das tolle Interview!
Sebastian Müller hat seit seiner Geburt eine spastische Körperbehinderung sowie eine sehr starke Sehbeeinträchtigung. Seit 2006 lebt er in Regensburg und benötigt aufgrund seiner Beeinträchtigung rund um die Uhr Unterstützung in Form von persönlicher Assistenz, die sich ein Team von sechs Mitarbeiter:innen teilt. Herr Müller ist Leiter des Büros für Leichte Sprache und hat an der OTH Regensburg einen Bachelor- und Masterabschluss im Studiengang Soziale Arbeit –Inklusion und Exklusion- absolviert. Weitere Infos auf: www.sags-einfach.de/ Und ein Beispiel eines Interviews in leichter Sprache einer Regensburger Persönlichkeit: Schiedsrichter Frank Reinel

Lukas Kistenpfennig arbeitet selbst als Sozialpädagoge in der Behindertenhilfe und leitet die offene Behindertenarbeit in Abensberg, Landkreis Kelheim. Hier finden Familien und Angehörige von Menschen mit Behinderung Unterstützung und Beratung. Auch hier helfen Broschüren und Informationsmaterial in leichter Sprache den Familien und Menschen mit Behinderung dabei, Sachverhalte besser und leichter zu verstehen.