Regensburg und Budapest verbindet nicht nur die Donau, sondern auch die Literatur – Judit Hevesi

Judit Hevesi ist eine ungarische Lyrikerin und Redakteurin. Bislang erschienen zwei Gedichtbände von ihr »Hálátlanok búcsúja – Abschied der Undankbaren« und »Holnap ne gyere – Du sollst morgen nicht kommen«. Aus dem Deutschen übersetzte sie Friedrich Schillers »Die Räuber«. Sie berichtet über die besondere Verbindung zwischen Regensburg und Budapest.

Autorin Judit Hevesi (Foto: Johanna Berger)

Was hat Dich veranlasst von Budapest nach Regensburg zu ziehen? 

Judit Hevesi: „Vor fünf Jahren habe ich in Ungarn meinen jetzigen Mann kennengelernt. Zu Beginn hatten wir eine Fernbeziehung und ich habe bereits viel Zeit in Regensburg verbracht. Da ich für den Corvin Kiadó Verlag arbeitete, hatte ich angefragt von Regensburg aus zu arbeiten. Und schreiben kann ich praktisch von überall aus.“

Der Umzug war kurz vor der Corona Pandemie. Wie ist es Dir dabei ergangen?

Judit Hevesi: „Mir wurde die Möglichkeit erschwert, mich richtig einzuleben und Menschen aus Regensburg kennenzulernen. Ich konnte nicht alle Orte entdecken, jedoch die Natur. Was eben nicht ganz hilfreich war Bekanntschaften oder gar Freunde zu finden.“ 

Ist Dir der Abschied von Budapest schwergefallen?

Judit Hevesi: „An sich schon. Zu Beginn war es nicht schwer, da ich alle zwei bis drei Wochen nach Ungarn gefahren bin für Lesungen und um meine Familie und Freunde zu besuchen. Damals hatte ich auch noch meine Wohnung in Ungarn, da ich noch keine endgültige Entscheidung getroffen hatte, wo ich leben möchte. Aber langsam habe ich gemerkt, dass nach und nach meine gesamten Bücher und Kleidungsstücke in Regensburg waren. Ich hatte das Gefühl, dass die Geschichte in eine bestimmte Richtung – nämlich nach Regensburg – geht. Leider (seufzt) kam Corona, was die Kulturszene stark traf, wobei kulturelle Veranstaltungen wie Lesungen oder Theateraufführungen hier wie auch in Ungarn, abgesagt werden mussten. Daraufhin wurden alle Lesungen online gehalten und ich konnte nicht mehr so einfach nach Ungarn reisen. Dabei wurde mir die Gelegenheit genommen, Abschied zu nehmen.“

Die Werke von Judith Hevesi. (Foto: Johanna Berger)

Du hast ja zwei Bücher geschrieben. Woher nimmst Du Deine Inspirationen?

Judit Hevesi: „Das ist sehr unterschiedlich, manchmal höre ich was und stelle mir eine Situation dazu vor. Das kann man sich so vorstellen, zwei Menschen unterhalten sich, dabei höre ich zwei Sätze und mit diesen zwei Sätzen setze ich drei unterschiedliche Kontexte zusammen, die jeweils eine andere Situation ergeben. Oder ich träume manchmal was Interessantes und stelle mir einfach verschiedene Situationen und Lebensgeschichten vor.“

„Was passiert zwischen den Personen, was könnte dabei die Wahrheit sein?“

Gibt es eine Inspiration, die Dir besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Judit Hevesi: „Ja (grinst). Dabei hat jemand ein halbes Schwein auf seiner Schulter zur Metzgerei getragen. Allein das ist schon ein Gedicht. JEMAND TRÄGT – IN BUDAPEST – EIN HALBES SCHWEIN UND WO ANDERS LIEGT NOCH DIE ANDERE HÄLFTE (lacht). Spannend ist, wenn deine Begleitung das Schwein gar nicht bemerkt. In Ungarn gibt es ein Gedichtband, in dem nur Sätze stehen, die der Schriftsteller gehört hat. Sätze nacheinander, ohne logische Reihenfolge, trotzdem erkennst du die Musik der Sprache, die Musik des Lebens.“ 

„Vielleicht sieht man als Schriftsteller die Welt anders.“

Woran hast Du gemerkt, dass Du Talent als Schriftstellerin hast?

Judit Hevesi: „Das ist eine interessante Frage, eigentlich bin ich mir nicht sicher, ob ich Talent habe (lacht). Man ist immer skeptisch. Es ist nicht so wie in der Schule, in der man Noten bekommt und man sofort weiß, ob man gut oder schlecht ist. Es gibt Kritiker und Literaturtheoretiker, die einen sagen möchten, ob man gut oder schlecht ist. Aber häufig ist die Rezension durch die Leser eine andere. Daher denke ich, dass eine gewisse Unsicherheit normal ist, jedoch schreibt und editiert man weiterhin.“

Da bleibt doch die Frage, wie erkennt man einen guten Schriftsteller?

Judit Hevesi: „In der Gegenwart kann man meistens nicht absehen, wer mal zum Kanon gehören wird und ob diejenigen, die zum Kanon gehören, wirklich ‚die Besten‘ sind. Es gibt immer wieder Kanonrichtungen, die man aktuell für interessant und wertvoll hält und die unser Leben bewegen. Jedoch wird es viele Jahre später anders bewertet. Meistens sind es Männer mit ernsten Gesichtern auf einem schwarz-weißen Foto, die als Weltliteratur gewürdigt werden. Es gibt heutzutage tatsächlich viele Frauen, die gelesen werden. Dabei hat Deutschland mit der Figur der Hildegard von Bingen eine Frau bereits früh der Öffentlichkeit vorgestellt. Aber kannst du dich an eine Frau erinnern, die die beste Schriftstellerin ihrer Zeit war? Oder so gewürdigt wurde? Ich bin gespannt wie unsere Epoche mal später in Lehrbücher der Literatur beschrieben wird. Am Ende werden wahrscheinlich wieder die Männer übrig bleiben.“

Wieso denkst Du, dass die Ernsthaftigkeit wichtig ist, bei einem doch so kreativen Feld? 

Judit Hevesi: „Die Menschen neigen dazu, nur das Traurige als Ernstes und Wertvolles wahrzunehmen. Je tragischer ein Schriftsteller gestorben ist, desto öfters lesen wir ihn (lächelt ironisch). Es ist selbstverständlich nur ein Scherz. Fakt ist, dass wir oft erst nach dem Tod eines Schriftstellers anfangen, ihr Werk wert zu schätzen. Obwohl Ironie irgendwie zu mir gehört, habe ich auch ernsthafte Themen. In meinem ersten Buch geht es über den Holocaust beziehungsweise über familiäre versus kollektive Erinnerung. In dem zweiten über das Ende des Lebens und das Ende einer Beziehung.“

Würdest Du überhaupt eine Biographie über Dich schreiben?

Judit Hevesi: „Nein, das würde ich nie tun! Das wäre keine Herausforderung für mich, über mich selbst zu schreiben. Es ist auch nicht so interessant und würde mir weniger Spaß machen. Und außerdem schreibt man sowieso immer eine Art von Biographie in dem Sinne, dass alles was man schreibt eigene Erfahrungen sind, was man in seinem Leben erfährt, wo man herkommt. Dabei stellt man seine eigene Identität vor. Mit jedem Wort und Satz, die ich schreibe, erfährt man einen Teil von mir.“

Über was möchtest Du als nächstes schreiben?

Judit Hevesi: „Auf jeden Fall möchte ich Gedichte schreiben (grinst)! Obwohl ich bereits Erzählungen und Drehbücher geschrieben habe, kann ich mich über Gedichte am besten ausdrücken. Aber vielleicht schreibe ich diesmal gar ein Märchen (grinst) für Kinder, da ich viele Inspirationen durch unseren Sohn bekomme.“

Deine meisten Veröffentlichung hattest Du in Ungarn, hattest Du in Deutschland auch schon Aufträge? 

Judit Hevesi: „Nein, das wäre schwierig, weil ich auf Ungarisch schreibe. Aber ein paar Gedichte von mir wurden schon von György Buda und Emese Dallos ins Deutsch übersetzt.“

Da Du aktuell am liebsten Gedichte schreibst, welches ist Dein absolutes Lieblingsgedicht und welcher Dichter hat Dich zu Deinen Arbeiten inspiriert?

Judit Hevesi: „Eigentlich ist diese Frage immer schwer zu beantworten, da es immer andere Lebensphasen gibt und sich daher die Aussagekraft und auch die Bedeutung dazu verändert. Aber sehr gerne habe ich immer Bertolt Brecht gelesen – AN DIE NACHGEBORENENEN – welches auch gut in unsere Zeit passt (Judit holt das Buch und liest dieses vor). Dies beginnt so, »wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten! Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende…«. Es wurde für den Krieg geschrieben, obwohl es an die Nachkommen gerichtet ist, was sich besonders im Satz zeigt. »Ihr aber, wenn es soweit seit wird Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist Gedenkt unsrer Mit Nachsicht«. Leider haben wir das immer noch nicht erfüllt. Wir sind keinen Schritt weiter, haben geglaubt es würde nie wieder passieren und doch wurden wir getäuscht. Mein erstes Buch wurde von Paul Celan inspiriert; seine Gedichte und seine Art zu schreiben haben mich stark beeinflusst.“

Was macht Deinen Schreibstil erkennbar oder einzigartig?

Judit Hevesi: „Es gibt Dichter, die in ihrem gesamten Leben einen unverkennbaren Stil hatten, aber ich denke nicht, dass es heute noch so ist. Aber meinen Schreibstil würde ich so beschreiben: Jedes Buch, hat jeweils seinen ganz eigenen Stil, ein anderes Konzept welches ich verfolgte und somit sind sie nicht vergleichbar. Dabei ist eine gedankliche Repetition in jedem Buch gewünscht. Wenn man oberflächlich liest, hat man vielleicht manchmal das Gefühl, dass die Zeilen nichts miteinander zu tun haben. Sobald man das ganze Buch gelesen hat, versteht man, wieso die Anordnung so gewählt worden ist, sieht man das Muster.“

„Auch die Reihenfolge der Gedichte haben eine besondere Bedeutung.“

Welche Werke sollte man von Dir gelesen haben?

Judit Hevesi: „Die Literaturkritiker würden das erste Buch nennen und die Leser eher das zweite. Aber es ist nicht ganz eindeutig, es hängt von der persönlichen Vorliebe ab. Wenn man an Geschichte und gesellschaftlichem Traumata  interessiert ist, so würde ich eher das erste wählen. Wenn sich jemand mit dem Leben beschäftigt, was persönlich oder privat passiert, so würde ich das zweite empfehlen.“

Was liest Du im Moment?

Judit Hevesi: „Da ich mich gerade in der Prüfungsphase befinde: Klinische Psychologie, und zwar Tag und Nacht (lacht).“

Hast Du bestimmte Rituale bei Deinen Schreibprozessen?

Judit Hevesi: „Für Rituale bin ich zu impulsiv – das wäre für mich nicht authentisch. Und würde mich in meiner Kreativität einschränken.“ 

Spaziergang an der Donau (Foto: Johanna Berger)

Gibt es einen bestimmten Ort an dem Du in Regensburg schreibst?

Judit Hevesi: „Es variiert eher. Es ist nicht so, dass ich mich an einen Tisch setze und mit dem Schreiben beginne. Ich kann auch nicht sagen, wie lange ich für ein Gedicht brauche. Das können auch nur fünf Minuten sein. Für die Korrektur von fünf Zeilen habe ich schon mal Jahre gebraucht, um die richtige Art und Weise zu finden, wie ich es ausdrücken möchte.“

Würdest Du über Regensburg schreiben?

Judit Hevesi: „Ich habe auch nicht explizit über Budapest geschrieben, eher implizit in den Gedichten. Da durch beide Städte die Donau fließt, würde ich vielleicht über diese schreiben.“

Welche Orte magst Du in Regenburg besonders?

Judit Hevesi: „Einerseits Oberisling, da ich die Nähe zu Wald und Wiese mag. Besonders gerne bin ich auch an der Donau, denn das ist eine besondere Verbindung zwischen Regensburg und Ungarn und fühlt sich für mich wie Heimat an. Die Donau bedeutet für mich Stabilität, obwohl ein Fluss alles anderes ist, als stabil. Dann bin ich noch gerne unter Freunden, egal wo man ist.“

Vielen Dank für den interessanten und auch inspirierenden Einblick in Dein Leben. Ich wünsche Dir noch viele charmante Begegnungen, sowie neue Entdeckungen in Regensburg. Und natürlich freue ich mich auf neue literarische Werke von Dir!


Judit Hevesi ist eine ungarische Schriftstellerin, die 1990 in Hódmezővásárhely geboren wurde. Seit dem Jahre 2014 veröffentlicht sie literarische Werke, bestehend vor allem aus Gedichten. Neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin arbeitet sie als Übersetzerin. Sie absolvierte ihren Bachelor in Germanistik sowie ihren Master in Interkultureller Psychologie und Pädagogik in Ungarn. Aktuell studiert sie in Regensburg Psychologie. Seit 2019 lebt sie mit ihrem Mann und mit ihrem Sohn, der hier geboren ist, in Regensburg.

Die Autorin Ruth Schubert möchte mit den Leser:innen eine Facette teilen, die sie aus dem Blickwinkel von Judit Hevesi in Regensburg erleben durfte. Sie hofft, dass sie in dem einen oder anderen Leser:In die Liebe zur Literatur wecken und verstärken konnte und freut sich auf viele neue interessante Persönlichkeiten.